, Nik Dömer, AZ

«Direkter Wiederaufstieg kein Thema» – Badens Trainer Colatrella im Interview

Der FC Baden hat eine turbulente Sommerpause erlebt. Über 20 neue Spieler stehen im Kader und einige Abgänge sorgten für Diskussionen. Besonders gefordert war die Nervenstärke von Trainer und Sportchef Genesio Colatrella. Wie ist seine Gemütslage vor dem Saisonstart der Promotion League? Das grosse Interview.

Genesio Colatrella, Sie haben eine stürmische Vorbereitung beim FC Baden hinter sich. Wie steht es um Ihren Gemütszustand?

Genesio Colatrella: Es war keine einfache Zeit, aber ich bin für den Sport zuständig und will am Samstag eine schlagfertige Mannschaft auf dem Platz haben. Ich freue mich, wenn es endlich losgeht und bin deshalb positiv gestimmt.

Die letzten sieben Wochen waren bestimmt sehr intensiv, es gab viele Abgänge und Sie mussten eine komplett neue Mannschaft zusammenstellen. Haben Sie eine solche Situation schon mal erlebt?

Tatsächlich. Im Jahr 2002 habe ich bei den Kickers Luzern als Spielertrainer angefangen. Damals gab es einen Totalumbruch und ich musste ein neues Team auf die Beine stellen. Innerhalb von drei Jahren schafften wir den Aufstieg in die 1. Liga und wären beinahe noch in die Challenge League aufgestiegen.

Hat Ihnen diese Erfahrung nun geholfen?

Schwierige Situationen habe ich in den letzten 22 Jahren als Trainer oder Nachwuchsleiter immer wieder erlebt. Auch beim FC Luzern und dem SC Kriens musste ich Umstrukturierungen meistern. Ich habe gelernt, die Ruhe zu bewahren und stets das Beste aus der Situation zu machen. Man muss immer nach vorne schauen, darauf kommt es an.

Sie sind inzwischen vierfacher Familienvater und wohnen in der Innerschweiz, wie bringen Sie das mit Ihrem anspruchsvollen Job in Baden unter einen Hut?

Ich habe das Glück, dass meine Frau und ich aus grossen Familien stammen und wir auf viel Betreuungshilfe zurückgreifen können. Ausserdem kennen wir bereits die Situation. Als ich beim FC Zürich arbeitete, war ich ebenfalls viel unterwegs. Hinzu kommt, dass unsere Kinder inzwischen ein Alter erreicht haben, in dem sie sich auch mal selbstständig beschäftigen können.

Zurück zum Sport. Über 20 neue Spieler haben Sie innert kürzester Zeit für den FC Baden gefunden. Wie ist Ihnen das gelungen?

Ich habe über die Jahre viele Kontakte in der Fussballschweiz gesammelt und unzählige Gespräche geführt. Interesse am FC Baden gab es mehr als genug. Der Verein ist eine spannende Plattform, das hat mir auch geholfen. Die grosse Herausforderung bestand darin, die richtigen Spieler für meine Mannschaft zu finden.

Ist Ihnen das gelungen?

Jeden Spieler, der hierhergekommen ist, habe ich mir genau angeschaut. Mit den meisten Neuzugängen habe ich bereits in der Vergangenheit zusammengearbeitet. Ich habe den Eindruck, dass ich die richtigen Spieler für den FC Baden geholt habe. Die Stimmung im Team hat sich bemerkenswert schnell in eine positive Richtung entwickelt, da wächst etwas heran.

Vier neue Spieler kommen aus der 2. Mannschaft, welche Rolle werden sie haben?

Sie haben die gesamte Vorbereitung mit uns absolviert und sich diesen Platz in der Mannschaft absolut verdient. Jeder von ihnen wird eine faire Chance erhalten, um sich für die Startelf aufzudrängen.

Das führt uns zur Goaliediskussion. Der 20-jährige Simon Zalokar gilt als grosses Talent. Könnte er künftig die neue Nummer 1 werden?

Wir haben mit ihm und Mirco Mazzeo zwei Torhüter, von denen ich absolut überzeugt bin. Aktuell hat Mirco aufgrund seiner Erfahrung leicht die Nase vorn, aber auch Simon wird sich zeigen können. Sie werden den Kampf um die neue Nummer 1 unter sich austragen.

Was ist eigentlich bei Anthony Mossi passiert? Er sollte doch der neue Stammtorhüter werden.

Er hat uns für die neue Saison zugesagt und begann die Vorbereitung mit uns, zögerte jedoch seine Vertragsunterschrift hinaus. Dann war er plötzlich weg und unterschrieb in Neuenburg. Mehr muss ich dazu nicht sagen.

Mit Ridge Munsy und Mossi gab es zwei kuriose Fälle bei der Kaderplanung. Ausserdem sorgten die geplatzten Vertragsverhandlungen mit Cedric Franek, Patrick Muff und Rajmond Laski auch für erhitzte Gemüter. Wie erklären Sie sich diese vielen Aufreger?

Die Fälle waren sehr unterschiedlich. Was mit Mossi und Munsy ablief, hat mich sehr genervt, weil der Umgang ihrerseits nicht ehrlich war. Bei Laski, Muff und Franek war es eine andere Situation mit einer gewissen Vorgeschichte. Als ich hierher kam, habe ich die Verhandlungen übernommen, und wir wurden uns nicht einig. So funktioniert das Geschäft.

Die Testspiele zeigten Licht und Schatten. Vor wenigen Wochen gab es eine happige 0:10-Niederlage gegen den FC Thun, darauf folgten drei Siege in Serie, darunter auch einen Erfolg gegen den Ligakonkurrenten SC Cham. Wie sieht Ihr Fazit aus?

Das Thun-Spiel ist verarbeitet. Wir haben mit einer neuen Mannschaft komplett durchrotiert und wurden eiskalt bestraft. Für mich ist besonders wichtig, dass wir zuletzt dreimal ohne Gegentor gespielt haben. Die Defensive sieht bereits gut aus, aber die Offensive hat noch Optimierungsbedarf. Wir spielen zwar genügend Chancen heraus, sind aber noch nicht effizient genug.

Wie sieht es mit der Entwicklung des Teamgeists aus?

Dieser entwickelt sich sehr gut. Am Anfang hatten wir nicht einmal Musik in der Garderobe, aber dann wurde es innerhalb der Mannschaft von Woche zu Woche lebendiger. Nach dem Sieg gegen Cham hatte ich das Gefühl, die Jungs seien gerade Europameister geworden. Ich habe auch schon gehört, dass die Spieler in ihrer Freizeit gemeinsam Dinge unternehmen.

Nach dem Abgang von Franek ist auch klar, dass der FC Baden einen neuen Leader braucht. Wer übernimmt die Captainbinde?

Colatrella (lacht): Ich musste schauen, dass ich jemanden finde, der die ähnliche Bizepsgrösse hat. So fiel die Wahl auf Davide Giampà. Spass beiseite, er war in den letzten Saisons ein Aushängeschild und passt perfekt für diese Rolle. Sein Vize wird Daniele Romano sein.

Ist das Team nun komplett oder kommen noch weitere Spieler dazu?

Es könnten noch zwei Spieler dazustossen, mit denen ich zuletzt gute Gespräche geführt habe. Sie würden uns individuell nochmals verstärken. Ausserdem benötigen wir noch einen dritten Torhüter; dann hätten wir insgesamt 25 Kaderspieler. Damit kann ich gut arbeiten.

Für den Staff ist dem FC Baden eine populäre Verpflichtung gelungen, die Aargauer Fussballlegende Alain Schultz wird als Assistent fungieren. Was kann er der Mannschaft geben?

Er ist in vielerlei Hinsicht eine Bereicherung. Seine Leidenschaft für diese Aufgabe ist bemerkenswert. Er ist ein Vollblut-Fussballer, hat eine professionelle Einstellung und seine Spielintelligenz ist sehr ausgeprägt. Davon profitiert die gesamte Mannschaft.

Am Samstag geht es mit einem Heimspiel gegen YB U21 zu Hause im Esp los. Kommt der Saisonstart für den neu zusammengestellten FC Baden zu früh?

Nein, der kommt gerade richtig. Die Spannung ist gross und wir fühlen uns bereit. Natürlich gibt es auch gewisse Zweifel, aber die können wir nur beseitigen, wenn es auf dem Platz ernst wird. Und ich denke, dass es auch bei vielen anderen Teams eine Ungewissheit gibt. Beispielsweise haben auch U21-Mannschaften oftmals grosse Umbrüche im Sommer.

Was erwarten Sie von der kommenden Saison, wer sind die Favoriten?

Biel, Kriens und Rapperswil sind die Favoriten. Die Promotion League ist eine komplizierte Liga, die U21-Teams sind unberechenbar. Auch die Vereine aus der Westschweiz, die oft mit vielen guten Spielern aus Frankreich ausgestattet sind, darf man nie unterschätzen.

Welches Ziel setzt sich der FC Baden für die neue Saison?

Ich definiere kein konkretes Ziel, der direkte Wiederaufstieg ist kein Thema. Wichtig ist, dass sich der FC Baden in der Promotion League schnell stabilisieren kann. Danach will ich sehen, dass sich meine Mannschaft stetig entwickelt. Wenn wir am Ende im oberen Tabellendrittel landen, können wir zufrieden sein.

Beim FC Baden hat es zuletzt Nebengeräusche gegeben, der designierte Präsident Gianmarco Coluccia ist plötzlich zurückgetreten. Was halten Sie davon?

Mit Gianmarco habe ich in den letzten Wochen eng zusammengearbeitet, wir hatten ein gutes Verhältnis. Er hat auch grossen Anteil daran, dass wir eine tolle Mannschaft zusammenstellen konnten. Als ich erfuhr, dass er zurücktritt, hat mich das überrascht. Ich hätte gerne mit ihm weitergearbeitet. Es ist sehr bedauerlich, dass der FC Baden ein kompetentes Mitglied verloren hat.

Sein plötzlicher Abschied hat Fragen aufgeworfen, wissen Sie mehr?

Ich bin relativ neu beim FC Baden und habe mich seither auf den Neuaufbau der Mannschaft fokussiert. Deshalb möchte mich auch nicht an Spekulationen beteiligen.

Hat sich die Unruhe auf den Trainingsbetrieb ausgewirkt?

Die Mannschaft reagierte sehr überrascht, aber es ist deswegen kein Chaos ausgebrochen. Wir sind alle sehr gespannt auf den Saisonstart und wollen beim FC Baden ein neues und erfolgreiches Kapitel aufschlagen. Daran hat sich nichts geändert.

Der FC Baden war jahrelang für seine Kontinuität bekannt, doch nun gibt es viele Neuerungen. Werden Sie in den kommenden Jahren dazu beitragen, diese Kontinuität wiederherzustellen?

Ich selbst bin kein Wandervogel, mein Lebenslauf bestätigt das. Ich liebe Kontinuität und möchte dafür sorgen, dass es wieder neue Identifikationsfiguren beim FC Baden gibt. Aber es ist auch klar, dass gewisse Veränderungen im Fussball unvermeidbar sind, insbesondere nach einem Abstieg. Veränderungen sind per se nicht schlecht und ich habe auch keine Angst davor, da daraus neue, tolle Geschichten entstehen können. Das habe ich in meiner Karriere schon oft erlebt.